Über Andreas Köhnemann: Liebe in alle Richtungen

„Kurzer Zwischeneindruck des Leseerlebnisses: Sehr anspruchsvoll. Und sehr interessant. Zusammengesetzt aus vielen Schnipseln einschlägiger Literatur – und auch ganz abgelegener Texte und Ideen. Da muss man einerseits immer mitdenken – und wird andererseits auch immer belohnt. Weil man sozusagen nicht nur das Buch 'Liebe in alle Richtungen' liest, sondern zumindest im Großen und Groben auch unzählige andere Bücher …
Ich mag auch den etwas verschlungenen Stil, den mäandernden Erzählfluss – […] als Paradebeispiel: Der Ganz Andere – und plötzlich ein Exkurs über das Numinose, über das jemand vor 100 Jahren geschrieben hat, und das jetzt für einen ganz anderen Bereich fruchtbar gemacht wird.“

Dies ein Zitat aus meiner originären ersten Bearbeitung des Manuskripts von Andreas Köhnemann; das mich auch beim weiteren Lesen immer wieder beeindruckte. Weil Köhnemann anscheinend unglaublich belesen ist, weil er Beispiele aus dem hintersten Winkel seines literarischen und filmischen Gedächtnisses zieht, Beispiele, die er dann auf seine Argumentation fruchtbar anwendet.

Das ist keine leichte, schnelle Lektüre. Aber eine sehr reichhaltige, sehr intensive, die den Leser über viele Abzweigungen und über ein paar schöne Umwege zum Ziel bringt. Sozusagen eine Fahrt nicht über die Autobahn, sondern über die idyllischen Landstraßen, wo der Weg ausgekostet werden kann.

Köhnemann betrachtet den Liebesfilm. Nein: Liebesgeschichten im Film. Speziell: Dreier-Liebesgeschichten. Allerdings eingeschränkt: Nämlich nur solche, in denen eine sexuelle Ambivalenz herrscht – also nicht Paar plus Nebenbuhler, sondern drei Liebende. Zehn Filme analysiert er näher:

  • Bertrand Bliers „Abendanzug“
  • Adam Salkys „Dare – Hab’ keine Angst, tu’s einfach!“
  • Gregg Arakis „The Doom Generation“
  • Tom Tykwers „Drei“
  • Andrew Flemings „Einsam, zweisam, dreisam“
  • Alexis Dos Santos’ „Glue“
  • Xavier Dolans „Herzensbrecher“
  • Anne Fontaines „Eine saubere Affäre“
  • Michael Mayers „Ein Zuhause am Ende der Welt“
  • Claude Chabrols „Zwei Freundinnen„

Oh – und dann natürlich noch „… denn sie wissen nicht, was sie tun“. Und Pasolinis „Teorema“. Ach ja: „Rules of Attraction“ auch. Hmm? „Sliding Doors“? Klar, „Brokeback Mountain“; und „Vicky Cristina Barcelona“. Aber – da steht ja ein Zitat aus Werther – und zu Goethe gesellt sich noch Büchner? Wir geraten in Queer Studies; und in psychoanalytische Gefilde; dann plötzlich ein Exkurs über das Numinose, über das Heilige – und dann betrachten wir mit lüsternem Blick William Holden, Rudolph Valentino, Richard Gere, James Dean... und haben schon wieder die nächste literaturwissenschaftliche Theorie, das nächste kleine Filmbeispiel, die nächste Dreierkonstellation vor uns, und die nächste filmästhetische Schilderung …

Ich staune, ja, das tue ich. Köhnemann gliedert seine Filme auf, bettet sie in das Liebesfilmgenre ein, betrachtet die typischen Standardsituationen und zeigt die Abweichungen auf, die nötig sind und die möglich sind bei ménage à trois-Filmen. Filmdramaturgische Besonderheiten, ästhetische Strategien, bestimmte Wirkungsmechanismen und spezielle Eigenarten der Figurenzeichnung, -beziehungen, -mise en scene etc. …

Und kommt so über die Besonderheiten, die Filme mit Dreiecksbeziehungen enthalten, auch immer wieder auf das »Normale«, auf die Standards und, ja, Klischees des Liebesfilms an sich. So dass man mit diesem Buch eben tatsächlich plötzlich fast alles weiß und noch viel mehr ahnt zum Thema filmisch dargestellter, inszenierter und verarbeiteter Liebesverhältnisse.

Die dichte, assoziationsreiche Schreibweise stellte mich bei der Erstellung des E-Books vor eine ziemliche Herausforderung: nämlich eine Menge interne Links einzufügen, die den Bezügen, die Köhnemann herstellt, folgen. Und darin liegt ein großer Mehrwert eines E-Books: Dass interne oder externe Hinweise nicht nur genannt, sondern auf einfache Weise erlebbar gemacht werden können...

Harald Mühlbeyer

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