Über „Bienenstich und Hakenkreuz. Zeichentrick aus Dachau – die Deutsche Zeichenfilm GmbH“

Aus dem Notizbuch des Verlegers

„Armer Hansi“ ist einer der Klassiker des deutschen Animationsfilm – ja, er ist eigentlich das einzige Zeichentrickprodukt, das diesen Namen verdient, zumindest von vor 1945. Das allermeiste Sonstige, was in der Animation hergestellt wurde, war Werbung, auch noch Jahrzehnte nach dem Krieg. Stichwort HB-Männchen, Stichwort Mainzelmännchen. Rolf Giesen bereitet dieses Stück Filmgeschichte gut lesbar auf, angereichert mit Archivmaterialien und Interviews mit damaligen Beteiligten an den deutschen Animationsprodukten. Und er verfolgt die roten (oder braunen?) Fäden, die zur Zeit der Deutschen Zeichenfilm GmbH, Produktionsort: Dachau, geknüpft wurden.

„Armer Hansi“, die Geschichte von einem Kanarienvogel, der unvermutet dem Käfig entkommt und den die Zumutungen der Freiheit wieder zurück in die Heimeligkeit des Vogelbauers treiben, ist eine Nazi-Filmproduktion. Die Handlung ist getränkt von einer Ideologie, die die Biedermeierlichkeit des „Trautes Heim, Glück allein“ feiert. Passendes Sprichwort dazu: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Oder, zeitgenössisch für Hitlerdeutschland aufbereitet: „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“

Der Film ist putzig anzusehen – beispielsweise auch auf Youtube (https://www.youtube.com/watch?v=n4vrt8XojA8) –, und er ist lustig und farbenfroh, er ist aber eben vor allem ein Produkt des Jahres 1943. Eine Zeit, in der Goebbels und Hitler ein paar Millionen Reichsmark darauf verwendeten, Walt Disney nachzueifern: Der war ja damals schon der König des Zeichentricks, aber dummerweise aus Amerika. Da müssen die deutschen Animateure doch eigentlich Gleichwertiges, nein: Besseres liefern können, oder etwa nicht?!? Die Deutsche Zeichenfilm GmbH wurde auf den Weg gebracht, zur Ausbildung von Zeichentrickfilmern und zur Produktion von Zeichentrickfilmen. Großangelegtes Unternehmen! Das alsbald, wegen der Bombenangriffe, von Berlin wegzog. Und zwar nach Dachau. Direkt ums Eck: Das KZ. Von dem die Animateure nichts wissen wollten, sie waren beschäftigt mit dem Zeichnen von Vögeln und Hundewelpen. Denn noch ein zweiter Trickfilm ging in Produktion, „Purzelbaum ins Leben“, die Fabel um eine Hundefamilie und die Kraft des wohligen Gähnens. Dieser Film wurde nach dem Krieg von der DEFA fertiggestellt – mehr Output hatte die Deutsche Zeichenfilm nicht. Aber sie war auf die eine oder andere Weise Grundlage für so ungefähr alles, was an Nachkriegs-Animation hergestellt wurde …

Rolf Giesen kennt sich aus. Seit Jahrzehnten ist er weltweit anerkannter Experte für Trickfilm wie für Filmtrick, und hach, ich hab mich gefreut, als von ihm eine Mail im Postfach landete. Zumal ich ohnehin der Meinung bin, dass alles, was mit der Filmproduktion im nationalsozialistischen Deutschland zu tun hat, wichtig und relevant bis heute ist – und sei es auch nur, weil diese Filme, ob "Unterhaltung" oder "Propaganda", eine hervorragende Schule sind zum Erkennen ideologischer Subtexte. Und solche gibt's in heutigen Produktionen halt auch noch, wenn sie auch nicht faschistisch sind (im Normalfall – siehe Zack Snyders „300“).

Giesen blickt auf die Deutsche Zeichenfilm GmbH, auf die große Spannweite, die sich im Städtchen Dachau auftut zwischen Kinolustigkeit und Massenmord, damit auf das Verhältnis der hohen deutschen Politik zu Disney, auf die maßgeblichen Antreiber im deutschen Animationswesen wie auch auf die Wurzeln, die damals gelegt wurden und aus denen später beispielsweise das deutsche Werbefernsehen erwuchs. Doch er tut dies nicht allein: Das Projekt war ursprünglich zusammen mit dem Zeichentrickhistoriker und -sammler J. P. Storm konzipiert; nach dessen Tod durfte Giesen die umfangreichen Interviews, die Storm seit den 1980ern mit Zeitzeugen des deutschen Zeichentricks der '40er führen konnte, auswerten. Zusammen mit diversem Archivmaterial ergibt sich so in Bienenstich und Hakenkreuz ein Schlaglicht auf die deutsche Filmgeschichte: Animationsfilme unter Hitler und Goebbels, einerseits durchdrungen von Ideologie, andererseits von der Faszination, etwas Neues zu schaffen im deutschen Film, voll umfangen von Nazidenken und zugleich wegweisend über Jahrzehnte hinaus.

Harald Mühlbeyer

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