Über "Films of the Dead" von Renatus Töpke
Zombies: Das sind derzeit wohl die beliebtesten Horrorfilmgestalten überhaupt; spätestens seit „The Walking Dead“ in Serie sind sie in den Mainstream eingedrungen, nach Jahrzehnten im Untergrund, ständig dem Verdacht der strafrechtlichen Gewaltverherrlichung und der moralischen Jugendverderbnis ausgesetzt. Renatus Töpke stört sich nicht an Kategorien wie „Trash“ oder „Blockbuster“ oder „Filmklassiker“ oder „Meisterwerk“ – das Schöne an seinem Buch „Films of the Dead“ ist, dass er nicht kanonisiert, nicht klassifiziert, wie es so viele, zu viele getan haben seit den frühen 80ern, wenn es um Jugendschutz oder Leinwandschmutz oder Schubladisierung geht. Er behandelt von Grund auf alle Zombiefilme gleich, geht von dem jeweiligen Film aus und zieht aus ihm heraus seine Schlüsse.
Was bedeutet: Klar bewertet er, aber aus internen, nicht aus externen Gegebenheiten, und vor allem nach eingehender Beschäftigung mit dem Film. Das zeigt sich an den ausführlichen Produktionshintergründen, die er immer wieder schildert, und auch an den Interviews, die er mit einigen Filmemachern geführt hat. Die gehen auf deren jeweiligen Filme ein und auf das Zombiegenre überhaupt.
Ich persönlich konnte vor der Lektüre dem Zombiefilm ehrlich gesagt nur im tatsächlichen Trashbereich etwas abgewinnen, Stichwort: Lucio Fulci. Zombies sind nun mal prinzipiell dumpfe Wesen, und was klassischen Horror angeht an sich bestimmt weniger interessant als Vampire oder Werwölfe oder Katzenmenschen oder gar ein Frankenstein-Monster, also ein künstlich gebauter Zombie – der immerhin eine Lernkurve durchläuft, versucht Mensch zu werden. Zombie aber, wie sie der moderne Horrorfilm seit 1968 darstellt, sind tot, bewegen sich zwar, werden aber nur von Gier getrieben ohne Gedanken, sind pures Es ohne Ich, und ganz egal, ob sie langsam schlurfen oder schnell wieseln: Interessant sind sie nur in der Masse. Ein einzelner Zombie? Wurschtegal. Ganz im Gegensatz zu einem einzelnen Nosferatu…
Aber Töpkes Buch hat mich die vielen Zombievarianten gelehrt, hat mir vor Augen geführt, wie abwechslungsreich das alles sein kann, von Independent-Underground bis Megabudget, von Massenware bis individueller Autorenfilm, von grauenvoller Apokalypse bis totlustiger Romcom. Klar beschäftigt er sich mit Romeros Werk, mit Franchises wie „Resident Evil“ oder „[rec]“, aber eben auch mit „kleinen“, eher unbekannten Filmen, mit asiatischen und französischen und kubanischen und südafrikanischen – die Vielfalt der Filme zeigt, dass der Zombie halt doch nicht nur der einfältige Untote ist. Filme, die die Perspektive umkehren und aus der Sicht frischerstandener Zombies erzählen! Filme, die die Tragik von Verlust, Trauer und erschreckendem Wiedersehen behandeln! Filme, die den Untoten tatsächlich ernstnehmen, als Charakter! Und natürlich Filme, die auf Überwältigung aus sind, Überwältigung durch die lovecraftsche kosmische Angst…
Töpke braucht es gar nicht explizit auszusprechen, aber neben dem Zombie als Metapher für das Triebhafte in der menschlichen Seele, das unaufhaltsam losbricht, wenn die Barriere des Lebens erst einmal fortgenommen ist, ist „Films of the Dead“ wahrscheinlich DAS Buch zur Coronapandemie. Wieviele Filme sind im Grunde Seuchengeschichten, vom Virus, der die Zombies erschafft, bis zur globalen virenähnlichen Ausbreitung der Untoten. „Quarantäne“ heißen die Filme, und „The Outbreak“, oder „Viral“…
Töpke beschreibt 154 Filme, immer nah am Werk – aber es gelingt ihm, ganz nebenbei das gesamte Genre anschaulich und ausführlich und in seiner ganzen Breite zu beschreiben. Das ist sehr bereichernd!
Harald Mühlbeyer