Über „Hitchcock – Angstgelächter in der Zelle“

Meine Oma hat sich keinen Film von Alfred Hitchcock angesehen. „So ein hässlicher Mann!“, war ihre Klage. Und meine Gastmutter beim Amerika-Schüleraustausch konnte damals, nach dem Besuch von „Psycho“, nicht mehr die Dusche benutzen.

Hitchcock hat sich höchst erfolgreich als Marke inszeniert. Er wurde wie kein anderer (nicht-schauspielender) Regisseur mit seinen Filmen identifiziert. Und er hat als solcher nicht nur in seinen Filmen, sondern auch in seinem Image mit seinen Zuschauern gespielt. Schön war er nicht. Aber ein Mann mit Wiedererkennungswert. Meine Oma hat er als Zuschauerin verloren – doch viele andere so für sich gewonnen. Und dass meine Gastmutter nicht mehr duschen wollte, konnte er sich als stolzen Erfolg zuguteschreiben.

Die Marke Hitchcock entstammt seinen Filmen (denen er mit seinen Cameos ja stets seinen Stempel aufdrückt), reicht aber über seine Fernsehreihe bis zur Signatur auf den „Drei ???“-Kinderbüchern. Sein Image verschmilzt mit seinem Werk, und sein Werk ist eines, das eine komplexe Beziehung zwischen Film und Wahrnehmung des Films aufbaut. Alfred Hitchcocks Spiel mit den Zuschauern bedeutet letztendlich stets den Sieg für ihn. Und zugleich einen Sieg fürs Publikum, wenn auch auf andere Art als erwartet: Man wird belohnt, aber zugleich weiß man, dass man ausgetrickst wurde, wie bei einer Zaubershow – wird hier eine latent masochistische Ader im Zuschauer gekitzelt?
Ingo Kammerer nimmt sich in Hitchcock – Angstgelächter in der Zelle den Spieler Hitchcock vor, der nicht nur seine Filme, sondern durch sie auch den Zuschauer vorführt. Er geht dabei von Hitchcocks Kinowerk aus – und bezieht natürlich dieses andere große Werk mit ein, in dem Hitch vorgeblich sein Schaffen erklärt, in dem er aber vor allem sich selbst ikonisiert: Das Interview mit Truffaut liefert denn auch das Bild von der Zelle, in die – anekdotenhaft – Hitchcock als kleiner Junge von der Polizei eingesperrt wurde: Sowas passiert mit unartigen Jungs.

So spaziert Kammerer durch Hitchcocks Œuvre, guckt mal um die Ecke auf Ödipus oder auf Deleuze, blickt aber vor allem ganz genau hin. Und lässt locker und leicht sein Wissen über Hitchcock einfließen, so dass sein Essay entlang der hitchcockschen Motive dahinfließt – eine leichte Lektüre, aber inhaltlich prägnant.

Im Studium habe ich mal eine Hausarbeit geschrieben über die Ironie – spöttisch, bitter, dramatisch, schicksalhaft –, die Hitchcock gegenüber seinen Filmen, seinen Figuren und den Zuschauern anwendet. Daher rannte Ingo Kammerer mit seiner Anfrage, sein Buch zu veröffentlichen, offene Türen bei mir ein. Zumal mir Hitchcock seit 20 Jahren vertraut ist: Damals, zum 100. Geburtstag, kamen viele seiner Filme, auch Raritäten wie „Lifeboat“, auf Arte und 3Sat, und ich habe meinen Videorecorder bei meiner Oma angeschlossen – zuhause konnten wir diese Sender nicht empfangen…

Trotz ihrer Abneigung gegen Hitchs Aussehen hat mich Oma an ihn herangeführt; und keine Angst: Gelegentlich steige ich unter die Dusche.

Harald Mühlbeyer

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