Über Marina Küffner: Auflehnung, Antriebslosigkeit, Antidepressiva und Apokalypse

James Dean ist ein Mythos. Eine Ikone. Ein Idol. Eine Legende. James Dean verstarb vor 60 Jahren. James Dean wirkt noch heute nach. Drei Kinofilme, ein junger Tod: intensiv und einflussreich genug, um noch heute mehr zu sein als irgendein Name der Hollywood-Historie. Biographie, Image und Werk sind bei Dean kongruent, sie sind in der persona „James Dean“ untrennbar verschmolzen – die suchenden, aufsässigen, coolen Jungs, die er in seinen Filmen spielte, seine ambige sexuelle Ausstrahlung, seine Jugend, seine Intensität, sein Interesse für schnelle Autorennen … Unmittelbarkeit und Risikobereitschaft in Kunst und Leben.

Am 30. September 1955 verstarb Dean in seinem Porsche. Zu diesem Zeitpunkt war sein Film „Jenseits von Eden“ von Elia Kazan seit ein paar Monaten draußen, die Premiere von „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ von Nicholas Ray fand einen Monat nach Deans Tod statt, die Uraufführung von George Stevens' „Giganten“ erst über ein Jahr später, am 10. Oktober 1956. Natürlich waren die PR-Abteilungen in Hollywood eifrig dabei, aus Deans posthumen Filmen eine Menge Kapital zu schlagen, wie er ja überhaupt mit einem Starimage als Kultfigur der Jugend ausgestattet wurde. Dean hatte Glück, so früh zu sterben – Humphrey Bogart soll das gesagt haben, und wahrscheinlich hat er recht.

Marina Küffner führt dieses Bogart-Wort an, zusammen mit einigen anderen Zitaten von Andy Warhol bis John Dos Passos. Denn in „Auflehnung, Antriebslosigkeit, Antidepressiva und Apokalypse – Existenzielle Rebellion im Film seit James Dean“ geht es wesentlich um den Einfluss Deans, und um die Urgründe dieses Einflusses: Biographie, stardom, die Filme – und insbesondere „… denn sie wissen nicht, was sie tun“, der das Bild, das die Nachwelt sich von James Dean macht, nachhaltig prägte.

So nachhaltig, dass der Einfluss in Coming-of-Age-Filmen bis heute zu spüren ist, mehr oder weniger explizit, aber deutlich. Der psychologische Erklärungsansatz; die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration; die uneindeutige Sexualität; die kosmischen Fragen des jungen Menschen, der in die Welt geworfen wurde und nichts mit ihr anzufangen weiß: Diese vier Motive, die Nicholas Rays Film bestimmen, finden sich in Klassikern des Genres von John Hughes aus den 1980ern ebenso wie in Ben Stillers Generation-X-Porträt "Reality Bites" oder in den Undergroundwerken von Gregg Araki. Diesen Spuren nachzugehen nahm sich Küffner vor – als Wegweiser dient ihr der Existenzialismus nach Sartre und Camus, eine philosophische Richtung, die sich mit dem Einzelnen in der Gesellschaft auseinandersetzt, so dass das spezifische Dean-Thema sich weitet zum Blick auf das männliche Heranwachsen – der sich wiederum auf zunehmend düstere Ausführungen richtet, in denen Weltuntergang und sexuelle Verlorenheit zugespitzt werden.

Marina Küffner und Andreas Köhnemann kennen sich; noch aus der Kindheit in Darmstadt, und sie haben sich nicht aus den Augen verloren. Dass sie – wenn auch an verschiedenen Orten – dasselbe Fach studierten; und sich innerhalb dieses Faches für dieselbe Thematik interessieren; dass die Abschlussarbeiten der beiden – über das rebellische Erbe James Deans respektive über filmische Menages-a-trois – sich in einigen Punkten überschneiden; und dass beide Arbeiten so gut sind, dass sie eine Veröffentlichung nicht nur wert sind, sondern dass sie geradezu danach schreien: Das kann nur Zufall sein. Vielleicht auch Schicksal. Karma. Oder Vorsehung. Jedenfalls ein Glück.

Denn in ihren beiden Büchern finden sich ergänzende An- und Einsichten: die unterschwellige Sexualität in „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist für beide Ausgangspunkt ihrer Studien, Gregg Araki und Roger Avarys „The Rules of Attraction“ werden in beiden Bänden besprochen: queeres Begehren und die Grenzen, die im Umfeld oder in einem selbst liegen – irgendwo im Kern dieser Thematik steckt James Dean drin.

Harald Mühlbeyer

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