Über „Schurkisch!“ von Andrea Freitag
Das Böse ist immer und überall, und der Schurke oft interessanter als der Held. Klar: Donald ist unterhaltsamer als Hillary.
Für die Dramaturgie ist der Konflikt ausschlaggebend, logisch. Genauso logisch: Für einen starken Konflikt braucht's einen starken Gegner. Aber ist das schon die einzige Funktion, die der Antagonist in einer Filmerzählung einzunehmen hat? Die Sache interessant zu machen und zu halten, und damit hat sich's? Andrea Freitag legt mit Schurkisch! eine Studie vor, die den Antagonisten in Beziehung zum Protagonisten setzt – nicht nur dramaturgisch, sondern auch, was das Rezeptionsverhalten betrifft. Will man nicht manchmal auch, zumindest klammheimlich, der Schurke sein? Gleicht sich der Held nicht auch dem Bösewicht an? Wie rechtfertigt man Gewalt, die vom „Guten“ ausgeht, wenn sie beim „Bösen“ verdammt wird?
Immerhin sind in den letzten Jahren immer wieder die Bösewichter zum Helden geworden – Stichwort: Megamind; Gru; Randale Ralph. Batman unterscheidet sich nur in der Zielrichtung, nicht in den Methoden von den Schurken, gegen die er kämpft. Dr. Hannibal Lecter ist so faszinierend, dass ihm auch FBI-Agentinnen verfallen könnten. Der Unterschied zwischen Held und Schurke verschwimmt: Der Schurke wird zur Hauptfigur, der Held führt sich schurkisch auf. Und der Zuschauer? Der findet sich ein in die Welt des Bösen – denn eigentlich geht der Schurke einfach seiner Lust nach, ohne allzu große Hemmungen. Und so kann hinter der Moral von der Geschicht – Verbrechen lohnt sich nicht oder ähnliches – auch so ein bisschen heimliche Sehnsucht entstehen. Will man nicht auch mal tun, was man will? Zumal die Bösen im Film nicht so sehr das, was sie tun, böse macht, sondern das ungebremste Immer Mehr: Der Exzess vor allem unterscheidet Pro- und Antagonist. Robin Hood in Wolfgang Reithermans Disney-Verfilmung von 1973 ist auch gierig nach Gold – aber der böse Prinz John eben noch und noch und noch mehr. Dracula kriegt jede Frau. Und Frankensteins Monster ist sowieso nur im Auge seiner Betrachter böse.
Andrea Freitag untersucht das Böse ziemlich allumfassend. Sie hat den auf family entertainment ausgerichteten Disney-Film ebenso im Blick wie den Superhelden-Actionblockbuster, der mit mal mehr, mal weniger philosophischem Impetus die Frage nach Herkunft, Methoden und Auswirkung des Bösen fragt; und der Thriller und der Slasher, vielleicht doch eher an ein genreaffines Nischenpublikum gerichtet, kommen ebenso zu ihrem Recht: Freddy Krueger entstammt schließlich direkt der angstvollen Teenagerträume – das Böse ist immer und überall. Auch in uns.
Harald Mühlbeyer