Vorwort von John Shelton Lawrence
Peter Vogl war mir unbekannt, bis er mir eine Nachricht über seine Chronik von Hollywoods Vigilantenfilmen schickte. Er lud mich ein, mich an der Publikation mit einem Vorwort zu beteiligen. Ich freute mich über seine Anfrage, fand allerdings eine Aussage in seiner Einladung unglaublich. Er behauptete, dass noch niemand über die Geschichte von Hollywoods Leinwand-Vigilanten ein Buch geschrieben hätte. Diese Behauptung, die Einzigartigkeit dieses Buches betreffend, weckte große Neugierde in mir.
Falls solch eine Geschichte existierte, dachte ich, dass ich sie kennen sollte – ich kannte aber keine. Seit etwa 40 Jahren untersuchen mein Kollege Robert Jewett und ich intensiv zahlreiche fiktive Vigilanten der Literatur und des Kinos. Durch unsere Zusammenarbeit entstanden The American Monomyth (1977) und The Myth of the American Superhero (2002). In all diesen Jahren haben wir wohl tausende von Büchern und Artikel aufgearbeitet, viele davon behandelten das Westerngenre, urbane Vigilanten oder Meisterdarsteller und Auteure wie Clint Eastwood, Charles Bronson und Sylvester Stallone. Nach einer Überprüfung der Kataloge für die film study-Sammlungen der University of California-Berkeley und der University of Southern Carolina bestätigte sich Peter Vogls kühne Behauptung.
Angesichts einer solch großen Menge an ideologisch zusammenhängenden Filmen stellt sich die Frage, warum kein Wissenschaftler jemals deren Chronologie aufgezeichnet hat oder versucht hat, eine repräsentative Auflistung der signifikantesten Arten zu erschaffen. Ich kann es mir nur so erklären, dass niemand zuvor die Phantasie oder die Hartnäckigkeit besaß, bei den Anfängen zu suchen und in einer einzelnen Studie eine große Liste zu diesem Thema zu erstellen.
Durch das Zusammenfügen und Vergleichen von so vielen Filmen konnte Vogl verschiedene Arten von Filmen definieren und auf die sozialen Faktoren hinweisen, die ihren Inhalt und ihre Popularität beeinflussten. Infolgedessen geht er in seinem Buch über die bekannten Cowboy- und Stadtvigilanten hinaus und identifiziert Gruppen aus der Großen Depression, der Hays-Code-Ära des New Deal, Klassenzimmer-Vigilanten, Teenager-Vigilanten, weibliche Vigilanten und sogar von Gott inspirierte Vigilanten.
Ich las Hollywood Justice langsam, und das überrascht mich nicht, da ich durch das Buch sehr viel gelernt habe. Und ich gebe zu, dass die verlockende YouTube-Seite ein regelmäßiger Begleiter am Computerbildschirm wurde, während ich die Manuskriptseiten las. "The Ace of Hearts" (1921) kannte ich zum Beispiel nicht, entdeckte aber, dass jemand den kompletten 81-minütigen Film von Goldwyn Pictures hochgeladen hatte. Schließlich fand ich heraus, dass fast jeder Film, der in diesem Buch erwähnt wird, in der Form von Trailern oder wichtigen Ausschnitten auf YouTube präsent ist. Unterdurchschnittliche B-Filme und Exploitationfilme sind ebenfalls abrufbar, mit nachgemachten Drehbüchern, hölzernen Schauspielern und schlecht beleuchteten Aufnahmen; viele der Videos haben ein verschwommenes Bild, weil sie von alten Videokassetten aufgenommen wurden. Filme, bei denen die Rechteinhaber auf das Copyright verzichteten, sind oft zur Gänze vorhanden. Diese Ausschnitte können den Text visuell veranschaulichen und bieten eine ausgezeichnete Ergänzung zu Vogls sorgfältiger Transkription der Filmdialoge.
Die enorme Popularität dieser Filme zeigte sich auch in einer weiteren Entdeckung: Wikipedia, IMDb und Turner Classic Movies haben sorgfältig Informationen zu Literaturquellen, der Produktion und den Schauspielern gesammelt sowie darüber, wie die Filme von Leuten aufgenommen wurden. Das Ausmaß an Informationen zeigt, dass viele Amerikaner – und vielleicht anonyme Mitarbeiter aus anderen Ländern – offensichtlich an diesen Filmen interessiert sind und die Erinnerung an sie am Leben halten wollen. Diese Tatsache wirft interessante Fragen auf, die über den Rahmen dieses Buches hinausgehen. Wie viele Menschen finden diese Filme inspirierend? Wie viele wollen sie als popkulturelle Beispiele für Pathologie darstellen? Beeinflusst die ständige Präsenz von fiktiven vigilantischen Helden den Widerwillen der Amerikaner, restriktivere Waffenbesitzrechte zu akzeptieren? Wie viele amerikanische Massenmörder haben ihre destruktiven Phantasien angeheizt, indem sie diese Geschichten konsumierten sowie die zahlreichen Ego-Shooter-Spiele, in denen Selbstjustiz simuliert wird? Inwieweit gibt es für diese Filme ein weltweites Publikum, welches oft Zugang zu Streaming-Diensten oder DVDs hat? Fragen wie diese legen Forschungsagenden für weitere Bücher nahe, die vielleicht von Hollywood Justice inspiriert werden.
Zusätzlich dazu, dass ich meinen ersten 100-Jahre-Überblick zu Vigilantenfilmen erhielt, erfuhr ich, welch geringe Rolle die Historie in Hollywood-Filmen spielt. Das Buch weist darauf hin, dass Hollywoods Vigilantenfilme merkwürdigerweise selten dokumentarische Absichten in ihren dramatischen Handlungen haben. In den Siedlergemeinschaften Amerikas, die keine Sheriffs, Gerichte und Gefängnisse hatten, konnten Viehdiebe, Räuber und Mörder gedeihen, solange aufrichtige Leute sich nicht wehrten. Vogl erwähnt die South Carolina Regulators der 1760er und San Franciscos „Committee of Vigilance“, das Mitte des 19. Jahrhunderts existierte. Deren Handlungen waren bereits inhärent dramatisch. Trotzdem hat es Hollywood, mit ein paar Ausnahmen wie "The Man Who Shot Liberty Valance" (1962), "The Missouri Breaks" (1976) und "Young Guns" (1988), lange Zeit vorgezogen, seine eigene Geschichte für Vigilanten zu erschaffen.
Darüber hinaus erarbeitet Vogl eine wichtige Unterscheidung zwischen rächenden Vigilanten und „populistischen“ Vigilanten. Rache-Vigilanten sind schon seit Senecas Thyestes und Shakespeares Hamlet Teil der westlichen Kultur. Populistische Vigilanten scheinen eine amerikanische Erfindung zu sein; obwohl sie Vergeltung verüben, um Übeltäter zu bestrafen, handeln sie immer wieder selbstlos auf eine Art und Weise, die die Allgemeinheit vor Gefahren rettet. Die amerikanischen Superhelden-Figuren, die ihre Identität verbergen, um die Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit inmitten scheiternder und oft korrupter Institutionen aufrechtzuerhalten, sind gewiss Teil dieser populistischen Tradition. Vogl hat durchaus Recht, wenn er diese fiktiven Helden mit Amerikas Entstehungsgeschichte, bei der man sich gegen unrechtmäßige Autorität auflehnte, philosophisch in Verbindung bringt, und er zitiert passend dazu die Unabhängigkeitserkärung: „Wann auch immer eine Form von Regierung auf diese Ziele zerstörerisch wirkt, ist es das Recht des Volkes, sie zu ändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen.“ Thomas Jefferson, der dieses Dokument verfasste, schrieb 1787 positiv über die Rebellion von Shays gegen die Regierung von Massachusetts[1]: „Welches Land soll seine Freiheiten bewahren können, wenn deren Machthaber nicht von Zeit zu Zeit gewarnt werden, dass das Volk seinen Widerstandsgeist aufrechterhält? Lasst sie zu den Waffen greifen. Die Lösung ist, sie mit Fakten eines Besseren zu belehren, ihnen Amnestie zu gewähren und Frieden zu schaffen. Was bedeuten ein paar verlorene Leben in einem oder zwei Jahrhunderten? Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen begossen werden. Es ist sein natürlicher Dünger.“[2] Obwohl Jefferson diesen Text zeitlich vor der Verfassung der Vereinigten Staaten und vor seiner Präsidentschaft schrieb – Dinge, die seine Meinung zu staatlicher Macht veränderten – werden seine Worte immer noch gerne von paramilitärischen Gruppierungen zitiert, die die Drohung durch ihren schwer bewaffneten Vigilantismus als Garantie gegen jegliche neue Tyrannei sehen.
Eine weitere charakteristische Kategorie, die Vogl definiert, ist jene der „Anti-Vigilant“-Filme. Er stellt fest, dass unter den 80 Filmen, die er sorgfältig untersucht hat, nur elf als „anti-Selbstjustiz“-Filme bezeichnet werden können, insofern, als dass sie Rache und populistischen Vigilantismus in Frage stellen. Diese Unverhältnismäßigkeit deutet darauf hin, dass das Streben nach Selbstjustiz beim amerikanischen Publikum viel mehr Anklang findet als Geschichten, die uns zeigen, warum dieser Impuls gebändigt werden sollte.
Im Zusammenhang mit den seltenen Anti-Selbstjustiz-Filmen steht Vogls ausführliche Betrachtung der Batman-Filme. Aus gutem Grund weicht er hier von seinem Stil der knappen Zusammenfassungen ab und führt einige Nuancen innerhalb des gesamten Genres ein. Genauso, wie man eine Art von dialektischer Opposition zwischen den Pro- und Anti-Filmen sehen kann, zeigt die Batman-Reihe eine intensive Infragestellung der Beweggründe und Auswirkungen vigilantischer Handlungen. Vogl schreibt: „Das Spannungsfeld zwischen Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit wurde schon oft in früheren Vigilantnarrativen untersucht, aber wohl selten auf solch interessante und umfassende Art.“ (S. ) In der Entstehungsgeschichte Batmans in der alten Detective Comics-Ausgabe wird Bruce Wayne als kindliches Opfer gezeigt, dessen Eltern vor ihm in den Straßen von Gotham ermordet wurden. Der letzte Bildtext erzählt uns: „So ist er geboren, dieser bizarre Rächer der Dunkelheit, dieser Rächer des Bösen. Der Batman.“[3] Als Erwachsener ist Wayne/Batman immer noch wütend über die Ermordung seiner Eltern, und in einigen Interpretationen des Stoffes ist er ein halb-deprimierter „Dunkler Ritter“. Vogl zeigt uns, dass Wayne sich über die Gefahren für die öffentliche Sicherheit bewusst ist, die seinen Handlungen anhaften, doch er muss sie mit seinem Potential abwägen, als maskierter Superheld Unglück zu verhindern und Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Ich hoffe, dass Vogls Kreativität in der Untersuchung amerikanischer Filme zu Werken mit größerem Rahmen führt, sowohl von ihm als auch von anderen, die das Fundament bewundern, das er geschaffen hat. Er hat einmal mehr bewiesen, dass wir Amerikaner etwas lernen können von Menschen aus anderen Ländern, die wissen wollen, wer wir sind und was unsere kulturellen Schöpfungen für ein großes internationales Publikum bedeuten.
John Shelton Lawrence, Ph.D.
Berkeley, Kalifornien, 23. Oktober 2015
© John Shelton Lawrence
Übersetzt von Peter Vogl
[1] „Shays’ Rebellion“ war ein bewaffneter Aufstand von etwa 4000 Rebellen, der sich gegen den Bundesstaat Massachusetts richtete, und dessen als ungerecht empfundene Politik und hohe Steuern. [Anm. P. V.]
[2] Thomas Jefferson, November 13, 1787, privater Brief aus Paris an William S. Smith. (http://www.loc.gov/exhibits/jefferson/jefffed.html#105, zuletzt aufgerufen am 26.10.2015)
Siehe dazu Horwitz, Josh: Thomas Jefferson and ‘The Blood of Tyrants’. Huffington Post. 17.10.2009. (http://www.huffingtonpost.com/josh-horwitz/thomas-jefferson-and-the_b_273800.html, zuletzt aufgerufen am 26.10.2015)
[3] Zitat aus: Misiroglu, Gina: The Superhero Book. The Ultimate Encyclopedia of Comic-Book Icons and Hollywood Heroes. Visible Ink Press. 2004. Seite 57.