Über „Wilder Westen made in Germany“ von Rainer Boller

Zu Zeiten meines Studiums habe ich mal im Rahmen eines „Western“-Hauptseminars eine Hausarbeit verfasst, in der ich versucht habe, dem Winnetou-Touch auf die Spur zu kommen. Dem Besonderen an den Karl May-Verfilmungen der 1960er, dieses Märchenhafte, das irgendwo im Gut-Böse-Schema der Handlung, in der wilden Landschaft Kroatiens, im Übertragen der mythischen US-Geschichte auf deutsche Nachkriegs-Produktionsweisen etc. liegt. Habe vor allem entdeckt, dass dieses spezifische Flair alsbald verlorengegangen ist; einmal, weil der Karl-May-Film von seinen Kindern, den Italowestern aufgefressen wurde, aber auch, weil er sich in der schlichte Masse der Brice- und Barkerfilme selbst kannibalisiert habe.

In diesem Rahmen hatte ich damals wohl nicht alle, aber die meisten der May-Filme (wieder)gesehen; habe auch den einen oder anderen Roman gelesen (und befunden, dass auch die schlechteren Filme unterhaltsamer sind – aber das ist natürlich 'ne subjektive Sichtweise …) Insofern habe ich mich sehr gefreut, als Reiner Boller auf mich zugekommen ist mit seinem Vorschlag, eine Art Gesamtschau des deutschen Western herauszubringen. „Sergeant Berry“ und „Wasser für Canitoga“, beide von Herbert Selpin und mit Hans Albers in der Hauptrolle, finde ich ja auch super; in meiner Nachbarstadt Ludwigshafen hat gar die deutsche Wildwestfilmgeschichte mit angefangen. Und was ist in den letzten Jahren Tolles rausgekommen, von „Gold“ bis „Western“. Ganz zu schweigen vom ultimativem Wildwestfilm mit dem ultimativen Wildwesttitel „Texas“, der die epische Feindschaft zwischen Doc Snyder und dem Nasenmann schildert…

An letzterem lässt Boller in seinem Wilder Westen made in Germany nur wenige gute Haare, da steh ich aber drüber. Worauf es ankommt bei diesem Buch, ist das umfassende Panorama, das Boller ausbreitet, von den Anfängen im Stummfilm über die Western im Dritten Reich bis zu heutigen TV-Western im Privatfernsehen. Natürlich mit Schwerpunkt auf den Karl-May-Verfilmungen von Rialto und CCC – hier hat Boller kräftig im Archiv gewühlt, bei Matthias Wendlandt, Sohn des damaligen Rialto-Chefs. Und er profitiert von seinen vielfältigen, interkontinentalen Kontakten: Er kennt so viele, die damals dabei waren, hat mit Pierre Brice gesprochen bis hin zu den Stuntkoordinatoren, die den deutschen Schauspielern erstmal beigebracht haben, wie man reitet, schießt und vom Pferd fällt. Diese Innenansichten der Produktionsgeschichten machen einen großen Reiz des Buches aus, das geht von Anekdoten vom Set bis hin zu Auseinandersetzungen zwischen Produktionsfirma, Verleih und Karl-May-Verlag.

 

Aber das ist natürlich noch nicht alles – ich war selbst überrascht, wie umfangreich das Manuskript war, das Boller mir schließlich zuschickte: In gleich zwei Kapiteln geht es um den Italowestern – von denen sind ja viele, angefangen mit Leones Dollar-Filmen, von Deutschland aus ko-finanziert worden. Natürlich geht es um den DEFA-Indianerfilm, aber auch, etwas abseits, aber nicht abseitig, um Alaska-Abenteuer nach Jack London. Oder um Südamerika-Expeditionen, von den 1930ern bis zu den grandiosen Herzog/Kinski-Filmen.

Kurzum: Ein Buch, das sich lohnt. Weil darin Details ebenso angesprochen werden, wie ein Überblick über das große Ganze gegeben wird, weil Boller eine Menge Filme bespricht, eine Menge Personen porträtiert, weil er zugleich auch mal Seitenblicke nach hier und da riskiert, und vor allem, weil er nah dran ist. Er mag die Filme. Er hat Kontakte zu den Machern. Und er schildert seine An- und Einsichten anschaulich. Also: Die geglückte Symbiose aus Fan- und Fachbuch: nicht trocken-akademisch, aber auch nicht das bloße Wiederkäuen von längst Bekanntem.

Harald Mühlbeyer

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